EINE BESONDERE TAVERNE & IHR REZEPT FÜR MAGIE

WORTE Stephan Leiter

EINE BESONDERE TAVERNE & IHR REZEPT FÜR MAGIE

IN DER TAVERNE DIONISIS HAT ZAKIS DOURAKIS MIT SEINER FAMILIE EINEN ORT GESCHAFFEN, DER DEN HUNGER STILLT, DIE SEELE BERÜHRT UND ZU TRÄUMEN INSPIRIERT.

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Eine sanfte Brise fährt durch den liebevoll gestalteten Laubwald. Unter seinen schattenspendenden Ästen laden verschiedene Sitzgelegenheiten zum Verweilen ein. Im Hintergrund das meditative Rauschen der Brandung, in der Nase der leicht salzige Geruch des Meeres. Eine Böe streift das Windspiel und lässt es tanzen, das Auge wandert über Lampenschirme aus Hüten, kreativ gestaltete Spiegel und Bilder, Schilder verziert mit Sprüchen, die einem eine Weile durch den Kopf gehen. Es ist ein magischer Ort hier am Strand von Develiki, keine Frage. Zumindest für all diejenigen, die sich ihm öffnen und neugierig hineinspüren.

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ZAKIS

Hauptverantwortlich hierfür zeigt sich Zakis Dourakis, ein Grieche, Mitte vierzig. Er hat diesen Ort zu dem geformt, was er heute ist. „Es braucht eine gewisse Zeit, bis solche Gegenstände Gestalt annehmen“, erzählt er. „Oftmals lasse ich ein Stück Holz, das ich verarbeiten möchte, mehrere Tage auf meinem Tisch liegen. Dann sitze ich Stunden davor und betrachte es, schau mir seine Struktur an, höre und fühle seine Geschichte.“ Zakis macht eine Pause, bevor er fortfährt: „Stück für Stück kommen dann Ideen und ich beginne mit der Gestaltung.“ Sich Zeit zu nehmen und auch Zeit zu geben ist ein wesentlicher Bestandteil in Zakis Leben – vielleicht auch deshalb, weil man nur so seine innere Stimme hören und seinen Weg finden kann. „Man kann nichts erzwingen. Mein Vater wollte unbedingt, dass ich Arzt werde. An jenem Tag, an dem ich mich im 100 Kilometer entfernten Thessaloniki für das Medizinstudium inskribieren sollte, wurde mir klar: Das ist nicht mein Traum, sondern der Traum meines Vaters.“

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Zakis entschloss sich stattdessen, Physiotherapie zu studieren, übte seinen Beruf nach der Ausbildung in Thessaloniki allerdings nur in den Wintermonaten aus. Das restliche Jahr verbrachte er in der Taverne Dionisis, wo er seine Gäste verköstigte und verzauberte. Seine Stelle als Physiotherapeut hat er inzwischen aufgegeben. All seine Aufmerksamkeit und Wärme schenkt er jetzt den Menschen, die er an diesem magischen Ort in Empfang nimmt. ZU DEM FRÖHLICHEN GESANG DER VÖGEL GESELLT SICH MUSIK DER 1960ER-JAHRE, die aus der in den Bäumen versteckten Dolby-Surround-Anlage klingt. Sechs Jahre war Zakis alt, als seine Eltern hierherzogen. Sein Großvater hatte bereits Jahre zuvor das schöne Fleckchen Erde erstanden, sein Vater baute dann in weiterer Folge Stück für Stück die kleine Taverne, die nach Zakis‘ Bruder Dionisis benannt ist. In der Hochsaison tummeln sich hier sowohl Touristen als auch Einheimische. Sie alle schätzen und lieben diesen besonderen Ort. Zu Essen bietet die Küche (in der hauptsächlich Zakis‘ Eltern für den nötigen Schwung sorgen) einiges. Alle Zutaten stammen aus der Region, das meiste aus den Gemüsegärten und Plantagen rund ums Haus.

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Bereits im Herbst beginnt Mama Lola mit dem Einlegen verschiedenster Gemüsesorten wie Paprika und Oliven. Zum Teil für den Eigenverbrauch im Winter, der Großteil wird jedoch vorbereitet, um in den Sommermonaten für das leibliche Wohl der Gäste zu sorgen. Der Fisch, der den Gästen serviert wird, wird selbst gefangen, nur selten wird er von einem Nachbarn erworben. Und etwas hinter der Taverne verstecken sich ein paar einfach gehaltene, gemütliche Appartements, die zeitweise vermietet werden.

FUSSBALL?

Zakis kümmert sich vordergründig um das geistig-seelische Wohl seiner Besucher. Oftmals gelingt ihm dies schon mit seiner beeindruckenden Trikot-Sammlung von Fußball Nationalteams. An manchen Tagen wechselt er während dem Bedienen der Gäste zwischen zehn verschiedenen Shirts. Auf die Frage, wie die Idee entstanden sei, antwortet er: „Vor vielen Jahren sprach mich ein Freund aus Argentinien während einer Fußball-Weltmeisterschaft an. Er war gerade zu Besuch und meinte plötzlich: Wenn du möchtest, schick ich dir ein Trikot der argentinischen Nationalmannschaft.“

Ein paar Wochen später fand Zakis tatsächlich ein Dress der argentinischen Nationalmannschaft im Postfach. „Das war der Anfang“, erinnert sich Zakis. Mittlerweile hat er Trikots aus allen Herren Ländern – wie viele es genau sind, erscheint ihm aber eher unwichtig. Dabei hat Zakis im Grunde rein gar nichts mit Fußball am Hut. Er selbst war in jungen Jahren ein begeisterter und in Griechenland durchaus erfolgreicher Kurz- und Mittelstreckenläufer. Auch sein Interesse an Nationalmannschaften und dem Klubfußball hält sich weitestgehend in Grenzen. Und doch haben die einzelnen Trikots für ihn einen besonderen Wert. „Jedes Einzelne erzählt eine Geschichte, eine Begegnung mit einem Menschen. Einige von ihnen wurden zu Freunden – so auch du“, lacht er und erinnert sich daran, wie ich ihm einst ein österreichisches Team-Trikot mitgebracht habe.

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Es geht um das Gefühl und die Emotionen, die jedes Shirt in sich trägt. Es herrscht eine Art stetige Verbindung zu jenen Menschen, die mir eines geschenkt haben, zu jener individuellen Geschichte, die mich mit der Person verbindet.“ Und auch für seine Gäste ist es nett zu erraten, welches Land sich hinter einem Trikot verbirgt oder in welchem Outfit Zakis wohl als nächstes in Erscheinung treten wird.

Es braucht aber kein Dress, um sich hier wohlzufühlen oder von Zakis Lebenslust angesteckt zu werden. Eine der wohl bewegendsten Begegnungen, die Zakis widerfahren ist, schildert er wie folgt: „An jenem Tag hatten wir sehr viele Gäste. Eine Frau saß alleine an einem Tisch und wirkte zunächst etwas bedrückt auf mich. Nach einiger Zeit rief sie mich zu sich. Als ich zu ihr kam, sprang sie auf und umarmte mich“, erinnert er sich, macht eine Pause und muss schlucken. „Weißt du“, sagte die Frau damals, „du hast mich mit deiner herzlichen und lustigen Art tatsächlich wieder zum Lachen gebracht. Du musst wissen“, fuhr sie fort, „ich habe Krebs, aber hier und heute fühle ich mich geborgen und lebendig und kann den Augenblick genießen.“

Blumen und Pflanzen

Berührt und bewegt von den Worten der Frau, verschwand Zakis damals für ein paar Minuten hinter der Taverne, um seinen Tränen freien Lauf zu lassen. „Spätabends, als ich dann im Bett lag, schoss es mir durch den Kopf: Das ist es! Das macht doch unser Leben aus – diese Verbindung mit anderen, das Mitgefühl am Leben der Menschen, das sich gegenseitige Helfen und Beiseitestehen.“

Ein liebevoller Umgang und der Zusammenhalt untereinander spielen auch in Zakis‘ Familie eine zentrale Rolle: „Ich sehe meinen Vater als die Wurzeln eines Baumes, die den Nährboden unserer Familie darstellen. Er werkelt rund um unsere Taverne, spendet Kraft, meist unsichtbar und im Hintergrund. Meine Mutter symbolisiert den Stamm, der für die Verbindung zwischen den Wurzeln und den Früchten der harten täglichen Arbeit steht.

Und ich?“, lacht er, „ich bin der bunte Vogel, der in den Ästen dieses lebendigen Baumes sein Nest gebaut hat.“

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Es ist eine einfache und dennoch so essenzielle Philosophie, die Zakis hier auf den Punkt bringt: Am Ende sollte uns bewusst sein, dass wir alle Menschen sind. Und wir alle wünschen uns geliebt und geschätzt zu werden. Den Anfang macht man am besten bei sich selbst. Sobald man sich selbst als Wesen wertschätzt und sich selbst so akzeptiert, wie man ist, kann man sich mehr auf sein Gegenüber einlassen.

Nachdenklich blickt unser griechischer Freund in die Ferne. Nach einem Moment der Stille fährt er fort: „Ich habe mir mittlerweile zur Gewohnheit gemacht, mich jeden Abend vor dem Einschlafen an all die schönen Dinge zu erinnern, die mir tagsüber widerfahren sind. Auch wenn viele Tage oft sehr stressig, anstrengend und ermüdend sind, so gibt es immer etwas, das auch freudig oder positiv war. Sei es der atemberaubende orange-gelbe Sonnenaufgang am Strand oder das Lachen eines Kindes, welches tagsüber mein Herz berührte. Wir haben nur dieses eine Leben, also sollten wir unsere Träume leben und das Positive aufsaugen und genießen.“ In Zakis‘ Augen mischt sich Nachdenklichkeit mit Leichtigkeit. Schon wuselt er weiter, bringt die Menschen zum Lachen, beantwortet Fragen, serviert Köstlichkeiten. Zakis berührt Menschen, wortwörtlich und im übertragenen Sinn – und kreiert damit einen magischen Ort.

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